Translate

Montag, 4. August 2014

Tabriz und der liebe Tag des Zorns

Der nervöse Blick in den Rückspiegel erübrigte sich bald, schnell realisierten wir, dass unser verwegener Grenzübertritt nicht in einer Verfolgungsjagd endete. Dies wäre denkbar schlecht gewesen, immerhin fuhr Andal mit dem allerletzten Tropfen Benzin über die Grenze. Unser erster Stopp im Iran führte uns somit logischerweise zu einer grenznahen Tankstelle, oder was auch immer das sein sollte, denn die Zapfsäulen waren versteckt und hinter Gittern. Trotzdem wurde uns der langersehnte, islamische Zapfhahn gereicht und endlich vollgetankt. Glücklicherweise nahm der Tankwart auch Devisen an, so günstig hatte ich noch nie in meinem Leben vollgetankt.
Immer noch fuhren wir also ohne Rial durch die Gegend, ein Zwangsstopp an einem freundlich gesinnten Militärcheckpoint ließ sich nicht vermeiden. Das größte Interesse galt aber nicht unseren Papieren, sondern unseren Motorrädern und vor allem unseren Helmen, die prompt von den Soldaten aufgesetzt wurden.
Ein paar Kilometer weiter passierten wir schon wieder Militär. Diesmal war es gleich eine halbe Kompanie, die gerade das äußerst karge Gelände durchkämmte. Andal stand während der Fahrt auf, salutierte vorbildlich mit der linken Hand und schon salutierten und winkten rund 50 vollbärtige Gestalten in Uniform retour. Selbst ein MG-Schütze, der von einem Fahrzeug aus seine Kameraden sicherte, erwies uns die Ehre. Sofort wussten wir – so wirklich bedrohlich scheint es hier im Iran nicht zu sein. Das einzige, was in diesem Land eine ernsthafte Gefahr darstellen wird, ist der Verkehr – wenn Du als durchaus flotter Motorradfahrer in einer engen, kurvigen Schlucht wie aus dem Nichts von einem Iranischen LKW überholt, ja regelrecht überrannt wirst, weißt du sofort, wie hier der Hase läuft.
In Momenten wie diesen denke ich ständig an eine ‚Empfehlung’ des Österreichischen Konsulats in Teheran, mit dem ich vor der Reise wegen irgendwelchen wichtigen Fragen zur Einreise Kontakt aufnahm: Tatsächlich wurde keine einzige meiner Fragen beantwortet. Ich bekam nur zu hören ob wir verrückt sind, ob wir wissen, dass hier rund 30.000 Verkehrstote pro Jahr gezählt werden und dass wir uns dessen bewusst sein müssen, dass Anarchie auf den Straßen herrsche. Der Iranische Verkehr hätte schließlich nichts mit dem zu tun, was man in Europa gewöhnt ist, wurde mir mitgeteilt. Beendet wurde der Schriftverkehr mit folgendem Satz: ‚Also nochmals, wir raten von einer selbstständigen Einreise mit dem Motorrad dringend ab, dies ist übrigens die Meinung all unserer Mitarbeiter des Konsulats’. Möglich, dass sie recht hatten…
Am frühen Abend erreichten wir Tabriz - Rushhour in einer Iranischen Millionenstadt. Noch nie musste ich mich durch einen derart abartigen und gefährlichen Verkehr quälen, die Iraner fahren wirklich kriminell und rücksichtslos, so richtig durchgepeitscht. Die Straßen übervoll, Regeln keine, Gefahr von allen Seiten, die Geschwindigkeit maximal, Abstandhalten - was ist das? Man kann sich die Gefahr in etwa so vorstellen: egal auf welcher Straße man sich befindet, ständig hat man das Gefühl, 30 Fahrzeuge kommen sternförmig von allen Seiten auf einen zu, und das ohne Rücksicht auf Verluste. Während wir hier ohne Navi und co. die Verkehrs-Challenge unseres Lebens bestreiten, scheinen die Iraner nicht im Geringsten gestresst zu sein. Diese gefühlte Bedrohung muss man erst einmal gewöhnt werden! Und das bei dieser Affenhitze – gemütliche 45°C.
Gut zwei Stunden dauerte unser Martyrium, genannt: Hotelsuche! Mehrmals durchstreiften wir für dieses Vorhaben die gesamte iranische Metropole. Zuerst auf gut Glück, dann versuchten wir uns durchzufragen, keine Chance! Fix und fertig fanden wir zwei Burschen, die uns auf einem Moped den Weg durch dieses iranische Labyrinth, bestehend aus einer Million Fahrzeugen und gleich vielen Gassen, zeigten. Leider führten sie uns zum teuersten Hotel (5 Sterne plus) am Stadtrand. Der Klassiker, nichts für uns, die negative Folgeerscheinung: noch eine Stadtrundfahrt – bei dieser Hitze, bei diesem Verkehr, Mensch Meier! Der Herr Oberhofer verlor schön langsam die Nerven und fluchte wie wild, ähnlich wie damals in Neu Delhi, als er einem Sikh-Taxifahrer aus dem Nichts den Anschiss seines Lebens verpasste (unvergesslich). Herumstehende Iranische Studenten beobachteten Andal’s Tobsuchtsanfall, verstanden schließlich, was wir suchten und organisierten ein Taxi mit genauer Wegbeschreibung. Schweiß lass nach, noch einmal quer durch die gigantische Stadt. Wir waren wirklich am Ende, was für eine Herausforderung. Fündig wurden wir letztendlich an der einprägsamen Ecke Ferdosi / Imam Khomeini Street, was für ein Glück, dachten wir…
Klopf, klopf, Polizei - was zur Hölle? Um 06:00Uhr hieß es Tagwache. In aller Früh verlangte die iranische Exekutive das Umparken unserer Motorräder. Überall standen Posten und Militärs, die Straßen wurden gereinigt und herausgeputzt. Was zum Geier ist hier nur los?
Die einfache Antwort: TAG DES ZORNS!!! Klasse! Tag zwei im Iran und schon ein erstes, richtig derbes Highlight. Natürlich erwischten wir mit unserem Hotel zufällig den Dreh- und Angelpunkt der alljährlichen Hasstiraden gegen Israel und gegen die USA. Auf die Frage, was hier eigentlich genau los ist, antwortete uns ein Deutsch sprechender Iraner: ‘Ach, die tun nur ein bissl schimpfen.’ Ein bisschen schimpfen?! Ganz so harmlos fühlte sich dieser Tag allerdings nicht an. Zehntausende Menschen liefen stundenlang Fahnen schwenkend und lauthals schreiend die Imam Khomeini Street entlang, anti-USA- und antisemitische Banner vor der Nase tragend (natürlich haben wir uns Exemplare gesichert). Eine Gruppe junger Frauen im schwarzen Chador und mit Schärpen der grünen Revolution behangen, schleifte den Davidsstern mit lautem Gebrüll am Boden hinter sich her. Dutzende Lautsprecher auf den Straßen, Laternenmasten und Pritschenwagen der Demonstrierenden beschallten uns den halben Tag mit feinsten Klängen des iranischen Hasstiraden-Repertoires. Hunderte Transporter und Kleinlaster, bestückt mit überdimensionierten Bildern der geistlichen Führung sowie etlichen iranischen Hoheitszeichen und Fahnen der Revolution, scharrten den ganzen Tag, allein an unseren Straßenzug, Tausende Menschen herbei. Militär-Helikopter umkreisten das kuriose Treiben und die allgemeine Stimmung in diesem riesigen Gewusel würde ich zwar nicht als gefährlich, aber zumindest als aufgeheizt bezeichnen. Wir befanden es für besser, so unauffällig wie nur irgend möglich zu agieren.

Falls sich manche von Euch fragen, wo wir wohl gerade umgehen – wir fragen es uns auch. Ihr kennt diese Bilder 1:1 aus dem Fernsehen, wir waren natürlich exklusiv dabei und mittendrin. Wir schlenderten eine gute Stunde durch die aufgebrachte Menge, aßen trotz Ramadan und beschriebenem Trubel eine Kleinigkeit auf offenem Demonstrationspfad, ehe der Spuk im Laufe des Tages schön langsam ein Ende nahm. Eine Veranstaltung, auf die ich gerne verzichtet hätte. Aber immer mit der Ruhe, uns gegenüber verhielten sich alle friedlich und zivilisiert, aufgeschlossen und neugierig. Eigentlich ein äußerst nettes Völkchen, eigenartig... (25.07.2014)

versteckter Schnappschuß auf einer Seitenstraße (Foto: Andal der Mutige)




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen