Das Warten auf Andals Ersatzteile nimmt kein Ende... Eine
kleine Abwechslung bot die alljährliche Sternschnuppennacht, die wir nach einem
skurrilen Besuch des ‘Zombie-Observatoriums’ irgendwo am höchsten Berg
Armeniens verbrachten. Bei dieser verwahrlosten, stalinistischen Messstation
für kosmische Teilchen wurden wir von einer beängstigend bleichen, dreiköpfigen
Sowjet-Adams-Family nicht willkommen geheißen. Es war schon eine bizarre
Szene. Wir befinden uns mit dem Motorrad auf einem erloschenen Schichtvulkan
auf über 3200m, marschieren auf ein massives Eisentor aus Sowjetzeiten zu und werden
gegenüber von drei komplett unterschiedlich gewachsenen (lang, dick, dünn) und
unglaublich bleichen Gestalten in modrigen Pelzmänteln samt schiefen Pelzmützen
angestarrt. Sie sahen wirklich wie Zombies aus, die gerade aus dem Winterschlaf
erwacht sind. Auf die Frage, ob wir die Forschungsstation betreten dürften, gab
es nur ein simultanes, dreifaches Kopfschütteln, kombiniert mit einem Blick,
der auf reduzierte Gehirnaktivität schließen ließ. Die haben wohl das ein oder
andere kosmische Teilchen zu viel abbekommen. Wir haben das verwahrloste
Gelände des Observatoriums dann 50m weiter links betreten, denn außer dem Tor
gab es rund um die Station kaum eine Absperrung. Nostalgische Kommunisten wären
hier beim Anblick verrosteter Kettenfahrzeuge und heruntergekommener Gebäude vermutlich
zu Tränen gerührt gewesen, wir fanden es einfach nur langweilig und trist. Und
natürlich beantworte ich Euch die zwei wichtigsten Fragen dieser Geschichte –
nein, wir wurden nicht von den Zombies gebissen und nein, wir haben sie nicht
mit einer Motorsäge niedergemetzelt.
Derzeit vertreiben wir uns die unerhoffte Freizeit mit
unglaublich spannenden Spaziergängen (gähn!) oder unternehmen kleine
Exkursionen mit meiner Transalp. So wurde mir gestern ein Ausflug zum Lake
Sevan schnell zum Verhängnis. Unter tatkräftiger Mithilfe einer der
trinkfestesten Familien Armeniens wurde mir innerhalb kürzester Zeit in der
Mittagssonne ein ordentlicher Gratisrausch angehängt – wenn ich sage
ordentlich, dann meine ich ordentlich, vielen Dank nochmals! Nachdem mich Bier
und Wodka zu einem 2 stündigen Nickerchen in der brütenden Nachmittagssonne
zwangen, fuhr ich uns 60km souverän retour - als Entschuldigung muss man fairerweise
beachten, dass wir uns in einer verkehrten Welt befinden. Die allgemeine Devise in
Armenien lautet ‘drink and drive’ und ‘as long as you wear a helmet, there is
no problem with the police’. Man passt sich
eben wieder einmal an.
Um wenigstens einen gewissen Nervenkitzel zu erzwingen,
fuhr ich in diesen Tagen absichtlich mit erhobenen Victory-Zeichen in diverse
Radarfallen – keine Sorge, mein Karma sollte mich später noch dafür bestrafen…
Ansonsten verbringen wir unseren ungewollten
Hauptstadt-Urlaub im 80’s Pub, gleich um die Ecke. Hier ertrinken wir die tiefe
Motorschaden-Depression in Hektolitern Billigalkohol und pflegen bereits ein
freundschaftliches Verhältnis zu den Angestellten. Nach 8 Tagen in Yerevan
wurde uns leider mitgeteilt, dass Andal hier wohl noch mindestens eine weitere
Woche festsitzen sollte. Mittlerweile wissen wir, dass das Wort ‚mindestens’ in
Armenien ein dehnbarer Begriff ist. Also was tun?! Die Aussicht auf eine rasche
Reparatur schwindet täglich, die Armenischen Behörden schreiben mich vermutlich
bald zur Fahndung aus und die ewige Herumgammelei trägt nicht gerade zu einem
kollektiven Stimmungshoch bei. Zu diesem Zeitpunkt gab mir Andal, ohne dass wir
je wirklich darüber gesprochen haben, sein OK, dass zumindest meine Reise
weitergehen sollte. Es mache einfach wenig Sinn, wenn wir hier beide festsitzen
und niemand genau sagen kann, ob seine KTM überhaupt wieder laufen werde und
wenn ja, wann. Andal! Vielen Dank für dieses selbstlose Angebot!
In dieser uneinschätzbaren Situation beschlossen wir also
einvernehmlich, dass zumindest ich Armenien hinter mir lassen und am nächsten
Tag ALLEINE nach Georgien weiterfahren werde. Im liebgewonnen 80’s Pub begossen
wir noch einmal anständig unseren vorläufigen Abschied und besprachen die
weiteren Pläne. Ich werde versuchen, eine ausgedehnte Runde durch Georgien zu
drehen, damit wir uns in einer guten Woche im georgischen Niemandsland
wiedertreffen. Hoffentlich gibt es keine weiteren Komplikationen...
Somit gehören die berühmt berüchtigten
Achter-Überholmanöver und auch die klassische Endurowirbel-Formation vorerst der
Vergangenheit an. Ungewohnt einsam, aber gewohnt verkatert ging die Reise am nächsten
Tag für mich also alleine weiter.
Auf geht’s in den tiefsten Kaukasus. Die kurvenreiche
Strecke zur georgischen Grenze lud förmlich zum Bolzen ein und schnell wurde
aus Fahren Rasen. Geschwindigkeitsbegrenzungen wurden gekonnt und strikt
missachtet, gedrosseltes Tempo auf Straßen wie diesen nennt man ganz einfach
Frevel. Links, rechts, rauf und runter, spinnt die Paula, das macht Spaß! Und
aus Spaß wird eben manchmal Ernst - nach dutzenden, himmelhoch jauchzenden
Kilometern heulten vom Straßenrand Polizeisirenen auf und ein ‘Klaus Huber, du
bist der Beste’ schallte durch armenische Polizeilautsprecher (vielleicht war
es auch etwas anderes, mein Armenisch ist nach wie vor bescheiden). Sofort
blickte ich auf den Tacho - Tempo 90 in einer 30er Zone, eher nicht so gut! Wir
wussten von Einheimischen, dass in Armenien bereits für kleine Vergehen empfindliche
Strafen drohen, aber Bremsen kam mir trotzdem nicht in dem Sinn. In der
Hoffnung, dass die werten Herren Exekutivbeamten keine Lust auf eine
Verfolgungsjagd mit einem verrückten Touristen haben, fiel meine Entscheidung
auf Weiterdüsen – vielleicht galt die Lautsprecherdurchsage ja gar nicht mir,
dachte ich. Da das mit dem Denken auf dieser Reise kein einziges mal so
funktioniert hat, wie wir uns das vorgestellt haben, kam was kommen musste.
Nach einigen Kilometern wähnte ich mich in Sicherheit aber nach 10 Minuten war
es dann tatsächlich soweit - im gefährlichsten Tunnel der Welt (Buckelpiste und
absolute Dunkelheit ohne jeglicher Beleuchtung, ohne Reflektoren oder sonstigen
Wegweisern - Tunnel dunkelschwarz, das hat die Welt noch nicht gesehen!) wurde
aus dem Nichts eine infernale rot-blaue Lichtshow plus Fernlicht-Stroboskop
aktiviert. Ach du Schreck! Polizei! Das Karma schlägt zurück! Nun gut, okay, dann
fahre ich eben doch rechts ran... Leicht mitgenommen präsentierten mir die
dicklichen Beamten Hans und Wurst mit etwas überdimensionierten Polizeimützen
unverzüglich den Bußgeldkatalog – scheinbar fand sich meine Strafe dort, wo die
meisten Nullen beim Preisgeld stehen. Ich startete meine Suche bei 5000 Dram
(10€) und arbeitete mich dann leider doch bis ans Ende der Liste durch, 200000
Dram - 400 Euro, Höchststrafe, Gratulation! Da half nur noch eines - ich
stellte mich megadumm und ließ es auf eine hartnäckige Diskussion ankommen. ‘Touristi,
Touristi…’ wimmerte ich mit verzweifeltem Blick. Nach über 7000 Kilometern,
hunderten ähnlichen und schlimmeren Vergehen wurde es im Endeffekt aber doch
Zeit für die erste Strafe der gesamten Reise. Nur durch Indien erprobtes
Verhandlungsgeschick und viel Geduld kam ich schlussendlich mit 100 Euro davon
- für die beiden armenischen Beamten war es wohl der große Wurf, für mich aber war
es nur ein symbolischer Akt! Ich grinste frech bei der Geldübergabe.
Ausnahmsweise gibt es von der Armenisch-Georgischen Grenze
nichts Spektakuläres zu berichten. Nachdem alle 15 herumwuselnden Zollbeamten
die Füße in die Hände nahmen, einem kleinen, dicken Typen nachliefen und diesen
im 5-fachen Todesgriff abführten, waren meine Stempel auch schon im Nu im
Reisepass. Das vierte Land, die vierte Sprache, die vierte Schrift und die
vierte Währung erwarteten mich. ‘Topvorbereitet’ wie eh und je wusste ich nur,
dass ich nach Telavi, im Osten des Landes fahren wollte. Warum? Keine Ahnung! Irgendwie
muss ich ja die Zeit ohne Andal herumbiegen. Auf dem Weg dorthin wollte ich die
georgische Hauptstadt Tibilisi (Tiflis) eigentlich umfahren, aber durch die
unglaublich falschen Wegbeschreibungen der Einheimischen, wurde ich wieder einmal
ins Verderben einer Millionenstadt geschickt! Nach allem was hinter mir lag,
sah ich das ganze jedoch als tiefenentspannte Aufgabe.
Wie immer war es viel zu heiß, also raus aus der
Motorradjacke und ich folgte der äußerst mäßigen Beschilderung und meinem (Teheran
erprobten) Wunderkompass - Osten, Osten, Osten! Schaut gut aus, die Straße wird
immer schmäler und schmäler, schlechter und noch schlechter, null Verkehr, beängstigende
Menschen links und rechts, hmmm - Endstation vor einem riesigen, vom Zahn der
Zeit zerfressenen, sowjetischen Industriekomplex. Sackgasse, doch nicht gut,
retour! Westen, Westen und dann nehme ich eben doch die richtige Abzweigung und
Autobahn. Danke Tiflis, abgehakt, lächerlich. Telavi, du unbedeutend kleines
Kaff, ich komme – warum auch immer!
Zur Belohnung erwartete mich nach der Hauptstadt ein 100km
langer Endurotraum und ich fuhr durch etwas Seltsames - etwas, das ich seit gut
einem Monat nicht mehr aus nächster Nähe gesehen habe, Wald! Andal hätte
bestimmt geweint. Apropos Andal - an die einsamen Momente bei Pausen oder beim
Essen muss ich mich noch gewöhnen, ansonsten macht Georgien bis jetzt aber auch
alleine Spaß. Trotzdem hoffe ich auf eine baldige Rückkehr, immerhin ist es ‘unsere’
Reise und ich freue mich schon auf die gemeinsame Ehrenrunde am oberen
Stadtplatz in Kufstein (informiert schon mal den Bürgermeister, die Schützen
und ‘de Musig’)! Nur noch ein paar Tausend Kilometer Heimweg… (18.08.2014)
Besondere Vorkommnisse:
- Zur Begrüßung im freundlichen Homestay in Telavi,
warf ich Besitzerin Inga noch schnell mein Motorrad vor die Füße. Mann, Mann,
Mann! Gelächter und Umfaller Nr.4
- Die youtube playlist des 80’s Pub wurde übrigens um
3 Bands erweitert: Motorbeast, Midriff und First Coming
Und wie es in den höchsten Bergen Georgiens bzw. bei der
Komplettierung meiner 3 Seen-Runde (Mediterranean Sea, Caspian Sea und Black
Sea) weiterging, das erfährt ihr nie... da man Einladungen in Georgien nicht so
einfach ablehnen kann, habe ich erhebliche Erinnerungslücken. Prost!