Der nervöse Blick in den Rückspiegel erübrigte sich bald,
schnell realisierten wir, dass unser verwegener Grenzübertritt nicht in einer
Verfolgungsjagd endete. Dies wäre denkbar schlecht gewesen, immerhin fuhr Andal
mit dem allerletzten Tropfen Benzin über die Grenze. Unser erster Stopp im Iran
führte uns somit logischerweise zu einer grenznahen Tankstelle, oder was auch
immer das sein sollte, denn die Zapfsäulen waren versteckt und hinter Gittern.
Trotzdem wurde uns der langersehnte, islamische Zapfhahn gereicht und endlich
vollgetankt. Glücklicherweise nahm der Tankwart auch Devisen an, so günstig
hatte ich noch nie in meinem Leben vollgetankt.
Immer noch fuhren wir also ohne Rial durch die Gegend, ein
Zwangsstopp an einem freundlich gesinnten Militärcheckpoint ließ sich nicht
vermeiden. Das größte Interesse galt aber nicht unseren Papieren, sondern
unseren Motorrädern und vor allem unseren Helmen, die prompt von den Soldaten
aufgesetzt wurden.
Ein paar Kilometer weiter passierten wir schon wieder
Militär. Diesmal war es gleich eine halbe Kompanie, die gerade das äußerst
karge Gelände durchkämmte. Andal stand während der Fahrt auf, salutierte vorbildlich
mit der linken Hand und schon salutierten und winkten rund 50 vollbärtige
Gestalten in Uniform retour. Selbst ein MG-Schütze, der von einem Fahrzeug aus
seine Kameraden sicherte, erwies uns die Ehre. Sofort wussten wir – so wirklich
bedrohlich scheint es hier im Iran nicht zu sein. Das einzige, was in diesem
Land eine ernsthafte Gefahr darstellen wird, ist der Verkehr – wenn Du als durchaus
flotter Motorradfahrer in einer engen, kurvigen Schlucht wie aus dem Nichts von
einem Iranischen LKW überholt, ja regelrecht überrannt wirst, weißt du sofort, wie
hier der Hase läuft.
In Momenten wie diesen denke ich ständig an eine
‚Empfehlung’ des Österreichischen Konsulats in Teheran, mit dem ich vor der
Reise wegen irgendwelchen wichtigen Fragen zur Einreise Kontakt aufnahm: Tatsächlich
wurde keine einzige meiner Fragen beantwortet. Ich bekam nur zu hören ob wir
verrückt sind, ob wir wissen, dass hier rund 30.000 Verkehrstote pro Jahr
gezählt werden und dass wir uns dessen bewusst sein müssen, dass Anarchie auf
den Straßen herrsche. Der Iranische Verkehr hätte schließlich nichts mit dem zu
tun, was man in Europa gewöhnt ist, wurde mir mitgeteilt. Beendet wurde der
Schriftverkehr mit folgendem Satz: ‚Also nochmals, wir raten von einer selbstständigen
Einreise mit dem Motorrad dringend ab, dies ist übrigens die Meinung all
unserer Mitarbeiter des Konsulats’. Möglich, dass sie recht hatten…
Am frühen Abend erreichten wir Tabriz - Rushhour in einer Iranischen
Millionenstadt. Noch nie musste ich mich durch einen derart abartigen und gefährlichen
Verkehr quälen, die Iraner fahren wirklich kriminell und rücksichtslos, so
richtig durchgepeitscht. Die Straßen übervoll, Regeln keine, Gefahr von allen
Seiten, die Geschwindigkeit maximal, Abstandhalten - was ist das? Man kann sich
die Gefahr in etwa so vorstellen: egal auf welcher Straße man sich befindet,
ständig hat man das Gefühl, 30 Fahrzeuge kommen sternförmig von allen Seiten
auf einen zu, und das ohne Rücksicht auf Verluste. Während wir hier ohne Navi
und co. die Verkehrs-Challenge unseres Lebens bestreiten, scheinen die Iraner
nicht im Geringsten gestresst zu sein. Diese gefühlte Bedrohung muss man erst
einmal gewöhnt werden! Und das bei dieser Affenhitze – gemütliche 45°C.
Gut zwei Stunden dauerte unser Martyrium, genannt:
Hotelsuche! Mehrmals durchstreiften wir für dieses Vorhaben die gesamte
iranische Metropole. Zuerst auf gut Glück, dann versuchten wir uns
durchzufragen, keine Chance! Fix und fertig fanden wir zwei Burschen, die uns auf
einem Moped den Weg durch dieses iranische Labyrinth, bestehend aus einer
Million Fahrzeugen und gleich vielen Gassen, zeigten. Leider führten sie uns
zum teuersten Hotel (5 Sterne plus) am Stadtrand. Der Klassiker, nichts für
uns, die negative Folgeerscheinung: noch eine Stadtrundfahrt – bei dieser
Hitze, bei diesem Verkehr, Mensch Meier! Der Herr Oberhofer verlor schön
langsam die Nerven und fluchte wie wild, ähnlich wie damals in Neu Delhi, als
er einem Sikh-Taxifahrer aus dem Nichts den Anschiss seines Lebens verpasste
(unvergesslich). Herumstehende Iranische Studenten beobachteten Andal’s
Tobsuchtsanfall, verstanden schließlich, was wir suchten und organisierten ein
Taxi mit genauer Wegbeschreibung. Schweiß lass nach, noch einmal quer durch die
gigantische Stadt. Wir waren wirklich am Ende, was für eine Herausforderung. Fündig
wurden wir letztendlich an der einprägsamen Ecke Ferdosi / Imam Khomeini
Street, was für ein Glück, dachten wir…
Klopf, klopf, Polizei - was zur Hölle? Um 06:00Uhr hieß es
Tagwache. In aller Früh verlangte die iranische Exekutive das Umparken unserer
Motorräder. Überall standen Posten und Militärs, die Straßen wurden gereinigt
und herausgeputzt. Was zum Geier ist hier nur los?
Die einfache Antwort: TAG DES ZORNS!!! Klasse! Tag zwei im
Iran und schon ein erstes, richtig derbes Highlight. Natürlich
erwischten wir mit unserem Hotel zufällig den Dreh- und Angelpunkt der alljährlichen
Hasstiraden gegen Israel und gegen die USA. Auf die Frage, was hier eigentlich
genau los ist, antwortete uns ein Deutsch sprechender Iraner: ‘Ach, die tun nur
ein bissl schimpfen.’ Ein bisschen schimpfen?! Ganz so harmlos fühlte sich
dieser Tag allerdings nicht an. Zehntausende Menschen liefen stundenlang Fahnen
schwenkend und lauthals schreiend die Imam Khomeini Street entlang, anti-USA-
und antisemitische Banner vor der Nase tragend (natürlich haben wir uns
Exemplare gesichert). Eine Gruppe junger Frauen im schwarzen Chador und mit
Schärpen der grünen Revolution behangen, schleifte den Davidsstern mit lautem
Gebrüll am Boden hinter sich her. Dutzende Lautsprecher auf den Straßen,
Laternenmasten und Pritschenwagen der Demonstrierenden beschallten uns den
halben Tag mit feinsten Klängen des iranischen Hasstiraden-Repertoires. Hunderte
Transporter und Kleinlaster, bestückt mit überdimensionierten Bildern der
geistlichen Führung sowie etlichen iranischen
Hoheitszeichen und Fahnen der Revolution, scharrten den ganzen Tag,
allein an unseren Straßenzug, Tausende Menschen herbei. Militär-Helikopter
umkreisten das kuriose Treiben und die allgemeine Stimmung in diesem riesigen
Gewusel würde ich zwar nicht als gefährlich, aber zumindest als aufgeheizt
bezeichnen. Wir befanden es für besser, so unauffällig wie nur irgend möglich
zu agieren.
Falls
sich manche von Euch fragen, wo wir wohl gerade umgehen – wir fragen es uns
auch. Ihr kennt diese Bilder 1:1 aus dem Fernsehen, wir waren natürlich
exklusiv dabei und mittendrin. Wir schlenderten eine gute Stunde durch die
aufgebrachte Menge, aßen trotz Ramadan und beschriebenem Trubel eine
Kleinigkeit auf offenem Demonstrationspfad, ehe der Spuk im Laufe des Tages
schön langsam ein Ende nahm. Eine Veranstaltung, auf die ich gerne verzichtet hätte.
Aber immer mit der Ruhe, uns gegenüber verhielten sich alle friedlich und
zivilisiert, aufgeschlossen und neugierig. Eigentlich ein äußerst nettes Völkchen,
eigenartig... (25.07.2014)